Dokumentation der Fachtagung „Sprache als Schlüssel zur Teilhabe“
Am Samstag, den 23.09.2023 fand an der Universität (OvGU) Magdeburg die Fachtagung der beiden Projekte „Betrieb einer Fachstelle Sprachmittlung an Schulen Ukraine“ und der Servicestelle für „Interkulturelles Lernen in Schulen in Sachsen-Anhalt“ statt. Thematisch stand dieses Jahr „Sprache als Schlüssel zur Teilhabe“ im Fokus sowie der Umgang mit Mehrsprachigkeit an Schulen zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
An der hohen Anmeldezahl zeigt sich deutlich, dass Schulen im Umgang mit Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer derzeit sehr herausgefordert sind. Mehrsprachiges Unterrichten bedeutet im Kontext: neben Schüler*innen (SuS) mit deutscher Herkunftssprache sind auch SuS im Unterricht, die mit nicht-deutscher Erstsprache sprechen. Es nahmen 51 Gäste teil, darunter Lehrkräfte aller Schulformen, Sprachmittler*innen, Schulsozialarbeiter*innen und Schulleiter*Innen aus ganz Sachsen-Anhalt.
Zum Auftakt betonte Mamad Mohamad, Geschäftsführer LAMSA e.V., in seinem Grußwort wie wichtig es sei, migrantischen Communities in Sachsen-Anhalt eine Stimme und Gehör zu verschaffen. Die Flucht der Menschen vor dem Krieg in der Ukraine habe an vielen Stellen des öffentlichen Lebens erneut gezeigt, wie wesentlich es ist, Sprache zu lernen und zu beherrschen. Vor allem in der Schule sei es deshalb essentiell, Kinder sprachlich zu fördern. Denn: Sprache ist der Schlüssel zur Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft. Sowohl der erfolgreiche Weg in den Beruf und das Arbeitsleben als auch der Zugang zu Wohnraum und Versorgungsleistungen im Gesundheitssystem hängen von der Sprachfähigkeit und Sprachkompetenz ab. Daher haben insbesondere Sprachmittler*innen eine sehr wichtige Aufgabe. „Sprachmittler*innen sind keine google translater“, so Mohamad. Insbesondere im schulischen Einsatz durch den Kontakt zwischen Schüler*innen, Lehrkräften und Eltern spielt Sprachmittlung im Schulalltag für die Kinder eine größere Rolle als nur zur reinen Übersetzungsleistung. Neben ihrer Arbeit als sprachliche Brücke, werden Sprachmittler*innen als Ansprechpersonen in allen sozialen Belangen wahrgenommen. Sie geben den SuS ebenso Orientierung für den Schulalltag und zur Teilhabe im Klassenzimmer.
Im anschließenden wissenschaftlichen Input ging es um das Thema Mehrsprachigkeit an Schulen aus der Sicht von SuS, die nicht Deutsch als Herkunftssprache (HKS) sprechen. Die wissenschaftliche Referentin Sarah Jessen-Schmitt, Co-Autorin und Studienrätin an einer Gesamtschule im Ruhrgebiet stellte die Ergebnisse und Methodik der Studie Mehrsprachigkeit in der Schule – aus der Sicht migrationsbedingt mehrsprachiger Jugendlicher (2020) vor. Mehrsprachigkeit hat viele Vorteile und bereite besser auf ein Leben in einer globalisierten Welt vor. Alle Akteure in der Schule seien gefordert, der Mehrsprachigkeit mehr Wertschätzung entgegenzubringen, so Jessen-Schmitt.
Anschließend kam es im Rahmen eines Podiums zum regen Austausch zwischen einer aktuell an einer Dessauer Schule unterrichtenden ukrainischen Lehrerin und weiteren Podiumsteilnehmenden. Auch die Schüler*innenperspektive fand in der Diskussion ihren Platz. Im Zentrum der Diskussion stand die Frage: Wie kann unter den bestehenden Bedingungen an den Schulen eine individuelle Förderung und Teilhabe der Schüler*innen ermöglicht werden?
Ergebnisse
Der Fachtag gab vor allem Antworten aus migrantischer Perspektive. Durch Vorstellung der Studie und durch die Stimmen aus dem Podium wurden die folgenden Schlussfolgerungen und Aspekte deutlich:
- Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit ist in Deutschland mit negativen Stereotypen belegt. Das führt zu einer geringeren Chance auf Bildungserfolg trotz des Bildungspotenzials
und der wissenschaftlich bewiesenen kognitiven und sozialen Vorteile von Mehrsprachigkeit.
- SuS, die neu in Deutschland an einer Schule ankommen und migrationsbedingte Mehrsprachigkeit mitbringen, sind mindestens auf eine Person angeiwesen, die sie fördert, d.h. die sie sprachlich unterstützt und im Schulalltag berät.
- SuS mit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit sind je nach Kapazität und Konzept der Schule mehr oder weniger Einzelkämpfer*innen, die wenig Angebote zur Sprachförderung an den Schulen erhalten und es oftmals mit überforderten Lehrkräften zu tun haben.
- Das Schulsystem in Sachsen-Anhalt ist aktuell mehrfach herausgefordert (Fachkräftemangel, Digitalisierung und Finanzierung von Infrastruktur).
- Elternarbeit mit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit wird von den Lehrkräften oftmals als herausfordernd wahrgenommen.
- Lehrkräfte fühlen sich in ihrer Aufgabe, eine gleichberechtigte Förderung aller Schüler*innen zu ermöglichen, mangelhaft unterstützt durch das Landesschulamt und das Bildungsministerium.
- Ein Großteil der Lehrkräfte hat keine Ausbildung, um mit dem Thema Mehrsprachigkeit und Sprachförderung umzugehen.
- SuS, die nicht-deutsche Herkunftssprachen sprechen, haben den Wunsch, sowohl ihre Erst- als auch ihre Zweitsprachen zu lernen. Sie haben jedoch nicht die Möglichkeit dazu und erfahren wenig Wertschätzung bezüglich ihrer Mehrsprachigkeit.
- Mit dem Ziel der Bildungsteilhabe und der Sicherung des Schulerfolgs sollten Schulen in Sachsen-Anhalt dem Thema der Mehrsprachigkeit offen gegenüberstehen und diese fördern, einschließlich migrationsbedingter Mehrsprachigkeit.
- Schulen benötigen mehr Unterstützung seitens des Bildungsministeriums und des Landesschulamts um die Unterrichtsversorgung sowie Bildungsteilhabe zu sichern.
Eine Möglichkeit zur Förderung von Mehrsprachigkeit ist Sprachmittlung für alle wichtigen Vorgänge an Schulen. LAMSA e.V. wurde im Juni 2022 durch das Bildungsministerium mit dem Projekt „Einrichtung/Betrieb einer Fachstelle Sprachmittlung Ukraine“ beauftragt. Die Fachstelle organisiert durch regional verankerte Umsetzungsorganisationen ukrainisch-/russisch-deutsche Sprachmittlung an Schulen. Aktuell sind ca. 60 Sprachmittler*innen für mehr als 3000 Schüler*innen, Eltern und Lehrkräfte im Einsatz. Zehn Umsetzungspartnerorganisationen erfassen in vierzehn Landkreisen/kreisfreien Städten regionale Bedarfe vor Ort. Durch sie erfolgt eine schnelle lokale Etablierung und Vernetzung mit derzeit fast 200 Schulen. Angesichts des Auslaufens der Projektfinanzierung und somit des Angebots der Sprachmittlung zum Jahresende muss festgehalten werden: Schuljahre sind keine Haushaltsjahre! Die Sprachmittler*innen werden mit Projektende zum Jahreswechsel 2023/24 ihre Arbeit verlieren, d.h. nicht mehr vor Ort sein und die Lehrkräfte und Schüler*innen müssen wiederum ohne diese Unterstützung Unterricht und Schulalltag meistern.
Um gemeinsam auch zu konstruktiven Lösungen zu kommen, haben sich die Teilnehmer*innen nach der Mittagspause in den darauffolgenden Workshops zu best practice ausgetauscht und gearbeitet.
Workshop 1 – Kultursensibel mit Konflikten umgehen (Katrin Pausch/ZEOK e.V.)
Im Fokus beider gastgebenden Projekte steht die Verbesserung der Kommunikation innerhalb der Schule – zwischen Schulleitung, Lehrkräften, Schüler*innen und Eltern. Dadurch soll eine gleichberechtigte Bildungsteilhabe und eine Entlastung des Schulalltags geschaffen werden. Unterschiedlichen Akteur*innen sind dabei auf verschiedenen Ebenen herausgefordert. Insbesondere die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Sprachen/Kulturen und unterschiedlichen Perspektiven (Schüler*innen, Eltern, Lehrkraft) über sensible Themen erfordert viel Feingefühl.
Ziel dieses Workshops war es, Konfliktsituationen zu reflektieren, einen Raum zum Üben zu schaffen und eine Art Methoden-Werkzeugkasten für die Praxis zu erstellen und beispielhaft zu erproben. Im Rahmen des Workshops wurde sich zunächst durch einen Erfahrungsaustausch einem kritischen Umgang mit dem Kulturbegriff angenähert. Katrin Pausch erklärte das Konzept von „Transkulturalität“. Beim Konzept von Transkulturalität steht der individuelle Zugang zu Identität im Vordergrund. Man begegnet immer Menschen statt „Kulturen“- jede Person bringt ihre soziale Prägung mit. Vorurteile und stereotype entstehen vor allem durch Kulturalisierung von Personen durch die Gleichsetzung mit ihrer Herkunft oder der Nation (deren „Kultur“). Kultur ist dynamisch, besteht nicht aus einer homogenen Gruppe, sondern kann vielmehr als ein Repertoire an Identifikations- und Orientierungsangeboten sowie Verständigungsräume (Glaube, Familie, Institutionen, Sprache, Rituale, Bräuche) für Menschen verstanden werden.
Workshop 2 – DaZ im Spannungsfeld von Bedarfen und Ressourcen: Planungshilfen für sprachsensibles Handeln (Dr. Britta Hövelbrinks, Akademische Rätin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und Interkulturelle Studien)
Schulen stehen aktuell vor der großen Herausforderung, mit knappen Ressourcen auf die vielfältigen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen mit Deutsch als Zweitsprache zu reagieren. Es ist daher wichtig, niedrigschwellige Wege für sprachsensible Handlungsstrategien zu kennen, die die Bildungssituation von DaZ-Schülerinnen an der jeweiligen Einzelschule verbessern können. Im Workshop wurden ausgewählte Strategien auf struktureller und unterrichtlicher Ebene diskutiert, die notfalls auch mit wenig DaZ-Personal Veränderungen bringen können.
Der Workshop lud dazu ein, sich in die Theorie der Mehrsprachigkeit zu vertiefen. In Aktivitäten wie Partnerarbeit diskutierten die Teilnehmer die theoretischen Aspekte und erarbeiteten Strategien, die im Unterricht eingesetzt werden können. Dabei wurden sowohl die Argumente für als auch gegen die Verwendung von Mehrsprachigkeit im Unterricht vorgestellt und aktiv diskutiert.
Workshop 3 – DaZ im Fachunterricht: Vorstellung der Methoden des Projekts MINTegration (Prof. em. Dr. Martin Lindner, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Didaktik der Biologie)
Auch in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern sowie in der Mathematik spielt Sprache eine entscheidende Rolle, um komplexe Konzepte zu erklären. Die Fachsprache von MINT-Fächern kann insbesondere für Schüler*innen mit Deutsch als Zweitsprache eine zusätzliche Herausforderung darstellen. In diesem Workshop wird am Beispiel des Projekts „MINTegration“ der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg veranschaulicht, wie sprachsensible Methoden für den naturwissenschaftlichen Unterricht eingesetzt werden können. Weiterführende Informationen: MINTegration (uni-halle.de) und MINTegration stellt sich vor – YouTube.
Im Rahmen des Workshops lernten die Teilnehmenden, wie die Prinzipien des sprachsensiblen Fachunterrichts in der Praxis umgesetzt werden können. Hierzu wurden Methoden und Unterrichtsmaterialien aus dem Projekt MINTegration vorgestellt, bei dem Projekttage zum Thema „Der menschliche Körper“ für Schüler*innen mit Fluchterfahrung durchgeführt wurden. Während des Workshops wurde auch ein Experiment zum Thema Zucker und Geschmack durchgeführt, das im Rahmen von MINTegration bereits Anwendung fand. Die Teilnehmenden zogen den Schluss, dass die MINT-Fächer für Schüler*innen mit Deutsch als Zweitsprache einen besonderen Vorteil bieten, indem sie Wissen auf anschauliche Weise vermitteln können, beispielsweise durch praktische Experimente, wodurch die sprachliche Barriere in den Hintergrund rückt. Empfohlene Methoden schlossen außerdem die Verwendung von Bildsprache und einfacher Sprache mit ein. Gleichzeitig wurde die Wichtigkeit der Sensibilität für unterschiedliche kulturelle Hintergründe im Unterricht betont. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Teilnehmenden im Rahmen des Workshops wertvolle Einblicke erlangten, wie die Prinzipien des sprachsensiblen Fachunterrichts in der Praxis erfolgreich umgesetzt werden können.
Workshop 4 – Die Rolle der Sprachmittlung in der Schule (Ninel Wufka, Ksenia Syrota; AGSA e.V.)
Aus Perspektive der Umsetzungspartnerorganisation, AGSA e.V., des Projektes „Betrieb einer Fachstelle Sprachmittlung Ukraine“ wird in diesem Workshop die Rolle der Sprachmittlung an Schulen beleuchtet. Den Teilnehmenden sollte hierbei ein anschaulicher Einblick in den Berufsalltag verschafft werden. Berufsprinzipien, Kompetenzen, Aufgaben und Grenzen in der Arbeit als Sprachmittler*in wurden hier thematisiert, indem auch auf Schwierigkeiten und Hürden bei der Tätigkeit eingegangen wurde. Gemeinsam mit den Teilnehmenden wurden Verbesserungsvorschläge im System „Schule – Sprachmittlung – Eltern“ entwickelt.
Feedback der Teilnehmer *innen zum Abschluss des Fachtags:
Wir bedanken uns für die rege Teilnahme und freuen uns über eine gute Zusammenarbeit in den kommenden Jahren.
Bei Fragen oder Beratungsbedarf kommen Sie gerne auf uns zu: schule@lamsa.de
Ihre Teams der Servicestelle für „Interkulturelles Lernen in Schulen in Sachsen-Anhalt“ (IKL Schule) sowieder „Betrieb einer Fachstelle Sprachmittlung an Schulen Ukraine“, LAMSA e.V.